Ein Versuch, einen Weg aus der Krise der Moderne aufzuspüren
von Jón Thor Gíslason
„Romantik ist, was in der
Gegenwart lebt und lebendig
auf den Augenblick wirkt“.
(J.W. Goethe)
Die moderne Kunst befindet sich am Ende einer Einbahnstrasse, die nicht zuletzt einer Autonomie bestimmter intellektueller Auffassungen zuzurechnen ist. Überschüttet von Leitworten wie „Überwindung“ und „erweiterter Kunstbegriff“ – die uns a priori von der Bildenden Kunst befreien sollten – stehen wir am Ziel, das schließlich kein Ziel sein will: „The show must go on!“ wird an der Endstation der Kunst gerufen. Was übrig bleibt, ist die Banalität eines Stillstandes.
Das Problem des Alterns der Moderne ist kein jüngeres Problem. Theodor W. Adorno hat es zumindest seit dem zweiten Weltkrieg beschäftigt. Für ihn war neben dem Neoklassizismus auch der radikale Avantgardismus kein Begriff der Moderne. Das lag hauptsächlich daran, dass für die Avantgarde der Primat des Ausdrucks an die Stelle des ästhetischen Primats der Form trat. Das stand im Widerspruch zu der ästhetischen Theorie Adornos, in der die rational-objektive Komposition im Vordergrund stand. Eine andere Forderung der Avantgarde, die vielleicht besser zu Adorno passt, ist, die Kunst in die Lebenspraxis zu überführen. Diese Anstrengung hat ihre Wurzeln bereits im Jugendstil Ende des 19. Jahrhunderts. Wenn aber Marcel Duchamp die herkömmliche Selbstinterpretation der modernen Malerei in Frage stellt, bekommt dieses Verständnis von Kunst eine ganz neue Dimension: „ Die Malerei ist am Ende, das Ready-made ist ein Kunstwerk“. Mit der Signierung des als „Fountain“ betitelten Urinoir auf der New Yorker Ausstellung der Society of Independent Artists ist der polemische Akt gegen die Institution Kunst besiegelt.
Die gedanklichen Dimensionen Duchamps hat später Joseph Beuys aufgenommen. Sie führten zur Abschaffung der Ästhetik. Im Zeichen der Jetztzeit-Generation versucht man nun, durch einen erweiterten Kunstbegriff neue Ursachen zu setzen, die die alten ersetzen sollen. Aufgabe der Kunst soll es sein, eine perfekte Gesellschaft aufzubauen, in der jeder Mensch schöpferisch tätig sein soll. Das Stichwort heißt: „Denken in Plastik“. Die Kunst ist verbalisiert worden, hat sich in eine „soziale Plastik“ aufgelöst. Diese Vorstellung war nichts mehr und nichts weniger als eine Utopie. Es ist anzunehmen, dass Beuys sich dieser Tatsache bewusster war, als die Anhänger seiner Theorie. Beuys war ein Grenzgänger. Er sprach ständig von sozialer Skulptur und betonte gleichzeitig das künstlerische Tun als etwas Besonderes. Er stand weder innerhalb noch außerhalb der Institution Kunst, er befand sich ganz bewußt auf der Grenze, die er zugleich ständig negierte. Im Grunde genommen hat er bloß das berühmte Pendelbewegungsspiel der Moderne gespielt: eine Subjektivität zwischen Selbstaffirmation und Selbstauslöschung. Gerhard Richter darf z.B. kitschige Landschaftsbilder malen, weil er sie unpersönlich und ausdruckslos malt. Damit geben die Bilder zu erkennen, dass sie nach dem „Ende der Malerei“ entstanden sind. Ganz bewusst macht Damien Hirst, der sich gleich als Künstler und Kurator präsentiert, die geschäftliche Potenz des Künstlers selber und das Geldverdienen zum Hauptmotiv des Kunstschaffens. Nicht das Produkt zählt, sondern das Verpackungsmaterial, das Etikett, der Verkaufpreis. So gesehen profitiert der Künstler von einer Kunst die sich selber verneint. Die Krise der bildenden Kunst wird heute im Zustand der Verdrängung erlebt – unter dem Schlagwort: Postmodernismus. Eine Epoche ist vorbei, aber man will es nicht wahrhaben.
Die Jetztzeitutopie der 68er Generation, die sich fähig glaubte, die Gegenwart still zu stellen und die Zukunft zu gestalten, „sieht sich nun fortgetragen vom Strom der Zeit. Jetztzeit lässt sich nicht festhalten, sie zergeht mit der Zeit… Was wir heute vor uns haben ist die Trauerarbeit.“ (P. Bürger)
In seinem Buch „Das Altern der Moderne“ (Suhrkamp Verlag 2001) formuliert Peter Bürger, emeritierter Professor für Literaturwissenschaft und Ästhetische Theorie, drei verschiedene Lesarten als Alternativen zur Lösung des Problems. Die erste ist die antimoderne Lesart, die zweite die pluralistische Lesart, die der heutigen Lage der bildenden Kunst in Ihrem Eklektizismus am nächsten kommt. Die dritte Lesart nennt er ‘vers une esthétique contemporaire’. Diese, kurz gesagt, hält er für die gescheiteste, im Anschluß an die „reine Ästhetik“ Adornos. Er schlägt ein unverbindliches „Spiel mit vergangenen Formen und ihrer notwendigen Aktualisierung“ als Reflexion auf einen „Reichtum des Eklektizismus“, bzw. auf den historisch avantgardistischen „Ausdruck“ vor. Das ist eine dialektische Weiterentwicklung der Moderne, in der Form und Ausdruck einander gegenüber gestellt werden. Dass Bürger die Lösung des Problems in einer dialektischen Anschauung zu finden glaubt, ist keineswegs abwegig. Da die antimoderne Lesart keine Lösung des Problems in sich birgt, sondern nur Ablehnung, liegt es nahe, die Antwort in einer Dialektik mit Begriffen zu suchen, die binnen dessen, was wir unter Moderne verstehen, liegen. Also eine Weiterentwicklung des modernen Begriffs.
Wenn Peter Bürger von einer dialektischen Entwicklung spricht, in der Form und Ausdruck versöhnt werden müssen, geht es ihm hauptsächlich darum, das Traditionelle zu retten, damit bestimmte Grundwerte nicht verloren gehen, und wir uns nicht in bodenloser Eklektik verlieren.
Im frühen 19. Jahrhundert stand die romantische Kultur, allgemeiner die christliche Kultur der modernen europäischen Staaten, im Gegensatz zur antiken, zur klassischen Kultur. Der Wunsch nach einem neuen Anfang, um sich von der Vergangenheit zu befreien, war eines der leitenden Motive. So gesehen haben Denken und Empfinden der hochtechnisierten Welt des 20. Jahrhunderts, also die „Moderne“, ihren Ursprung spätestens in der Romantik. Das christliche Europa als Identität für neues Denken im Gegensatz zum Klassizismus war die Grundlage. Die Christlichkeit des Romantischen war aber eher eine Reflexion auf bedingungslose Frömmigkeit und auf die historische Bedeutung des Christentums, ein intellektueller Prozeß, der das ganze Gegenteil von nicht hinterfragtem Glauben darstellt.
Zur Romantik gehört auch der Idealismus, vor allem der objektive Idealismus Friedrich Schellings, aber auch die Philosophie Hegels. Die Vorstellung der Ästhetik des Idealismus als Form-Inhalts-Einheit spielt hier eine wesentliche Rolle. Eine Aufhebung der Dualität von Subjekt und Objekt war ein Ziel, das für den deutschen Idealismus, für Fichte, Schelling und Hegel, das gleiche war.
Obwohl Bürger die idealistische Kunstauffassung als Werkbegriff für die Malerei akzeptiert, hält er fest am Verzicht auf „Substanzialität und individuelle Befindlichkeit“. Die Form-Inhalts-Einheit lässt sich aber schlecht denken ohne individuelles Empfinden und eine Vorstellung von Substanz. Die Substanz ist das Beharrende, das bleibt, das zugrunde liegende vertraute Wesen der Dinge. Zu den „Analogien der Erfahrung“ gehört nach Kant der Satz: „Bei allem Wechsel der Erscheinungen beharrt die Substanz, und das Quantum derselben wird in der Natur weder vermehrt noch vermindert“. In der heutigen Zeit versucht der biologisch/physiologische Materialismus die Substanz, bzw. den metaphysischen Begriff des Lebens, durch eine verwickelte physikalisch-chemische Gesetzlichkeit zu ersetzen. Dies soll einen Gegenpol gegen die Verirrungen des Idealismus darstellen. „Der Materialismus versagt aber in seiner Einseitigkeit vollkommen vor allem Entscheidenden, d.h. vor den grundlegenden menschlichen Fragen (Bewusstsein, Dasein, Zweck und Ziel des Lebens, Freiheitswerte, usw.), die er einfach als Scheinprobleme abzutun genötigt ist.“ (Georgi Schischkoff, Philosophisches Wörterbuch, S. 463, A. Körner Verlag, Stuttgart, 1991) Die fatalen Folgen dieser Versagung sind u.a. in der enorm wachsenden Zunahme in Kreisen religiöser Fundamentalisten zu erkennen. Dass dies nicht nur unter Muslimen zu beobachten ist, sondern auch auf großem Vormarsch in der aufgeklärten westlichen Welt zu sein scheint (z.B. Kreationisten), ist vor allem bedenklich. Für Sartre und viele seiner Generation galt die Substanz in erster Linie als Einschränkung der Freiheitsideale und musste deshalb aus der Welt geschaffen werden. Die Substanz der Welt ist aber keine heteronomische Last, die uns die Freiheit des selbständigen Denkens und Tuns wegnimmt (dies ist vielmehr der Kausalität des Materialismus vorzuwerfen), sondern „mit einer Vorstellung von Substanz kommt es darauf an, in dem Scheine des Zeitlichen und Vorübergehenden das Ewige, das immanent, das gegenwärtig ist, zu erkennen“, wie es Johannes Hirschberger in seiner „Geschichte der Philosophie“ formuliert.
Vor allem entscheidend ist, dass es eine Trennung in die zwei Welten von Natur- und Geisteswissenschaft nicht mehr geben darf. Die klassischen Naturwissenschaften haben sich durch die Spezialisierung der Disziplinen von der greifbaren Natur immer weiter entfernt und ihre eigene „Natürlichkeit“ oder „künstliche“ Welt geschaffen. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Subjekt-Objekt Einheit in unsere entzweite Welt integrieren oder noch deutlicher im Sinne der Hegelschen Dialektik wieder entdecken (die Antithesis wird in der Thesis selbst gefunden). Demnach liegt für mich die Lösung des Problems nicht ausschließlich in einer Dialektik von Form und Ausdruck, wie es bei Bürger heißt, sondern auch in einer Dialektik von „Subjekt-Objekt Trennung“ und „Subjekt-Objekt Einheit“. Damit konnte ein Gleichgewicht zwischen die äußere, induktiv bestimmte Erfahrungswelt der Naturwissenschaften (Subjekt-Objekt Trennung) und eine auf einer Theorie basierende, innere, subjektive Erfahrung von der Welt (Subjekt-Objekt Einheit) geschaffen werden.
Walter Benjamin hat sich, wie bekannt ist, sehr mit der Aura beschäftigt. Wie zum Symbol hatte er aber auch zur Aura eine ambivalente Beziehung. Einerseits sah er in ihr eine Hinderung, die gegen die moderne Vernunft sprach, andererseits einen wichtigen Bestandteil im Umgang mit Kunst. Bei Betrachtung eines Kunstwerkes hat Benjamin von einer „Erscheinung einer Ferne“ die ihm dabei manchmal widerfahre, gesprochen. Was Benjamin hier meint, ist nicht etwa, dass die Ferne erscheint. Vielmehr redet er vom Phänomen des Fernseins, das auch an nahen Dingen spürbar sein kann, von der Unerreichbarkeit und Distanz, die an Kunstwerken zuweilen spürbar wird. Benjamin sagt, dass man die Aura „atmet“. Dieses Atmen heißt also, dass man diese Aura leiblich aufnimmt. Im Anschluss an Benjamin ist demnach nach einer sinnlichen Wahrnehmung zu fragen. „Díe Aufgabe (ist), die Natur, die wir selbst sind, d.h. den menschlichen Leib, in unser Selbstbewusstsein zu integrieren“ (Gernot Böhme). Dies wird durch Erscheinungen erfahrbar, also im Sinne einer positiven Phänomenologie. Die positive Phänomenologie geht von der Überzeugung aus, dass das Seiende sich in seinem Wesen, Sinn und Sein zu erkennen gibt. Dieses Sichzeigen des Seienden in seinem Wesen, Sinn und Sein heißt „Erfahrung“. Eine geistige und sinnliche Erfahrung. Es geht demzufolge nicht um empirische Bedingungen des Erscheinens, sondern um formale. In der Erfahrung der Kunst gilt es, die innere Verschränkung des Formalen und des Inhaltlichen festzuhalten. Hans Georg Gadamer, der berühmteste Schüler Heideggers, spricht in diesem Fall von der ästhetischen Nichtunterscheidung bzw. Auffüllung der Wiedererkennung. Eine Erfahrung, die die volle Verwirklichung des Kunstwerks bedeutet. „Jeder Gegensatz von Meinen und Sein verschwindet, jeder Gegensatz zwischen dem, was der Künstler sagen möchte, und dem, was der Aufnehmende daraus aufnimmt. Sie sind eins geworden. Das ist der Grund warum sie jeden Rest von Privatheit verloren haben, so dass etwa auch der biographisch-okkasionelle Aspekt eines Kunstwerks ins Allgemeine gewandelt ist. Das ist der Grund, warum Werke der Kunst allen, die in ihren Bannkreis treten, eine echte Selbstbegegnung gewähren.“ In seiner Theorie für eine ökologische Naturästhetik sagt Gernot Böhme, Professor für Philosophie in Darmstadt, dass von dem Kunstwerk etwas ausgeht, das den Betrachter betrifft. „Diese Tatsache kann man in der Tat nicht besser ausdrücken als durch das Paradoxon, dass das Kunstwerk den Betrachter anblickt“. Das gleiche sagt übrigens Benjamin im Bezug auf die Aura. Was zwischen Subjekt und Objekt in diesem Moment passiert, erklärt Böhme aber mit dem Begriff „Atmosphäre“. Atmosphären sind Zustandserlebnisse, die sozusagen zwischen Subjekt und Objekt erfahren, erlebt werden: „Auge steht für Seele des Kunstwerks, oder, wie Hegel sagt, für Geist, insofern er erscheint, oder, wie wir sagen, für ergreifende Atmosphäre. Das Entscheidende ist die Dialektik von Anschauen und Angeblickt-werden oder besser gesagt, die Umkehrung dieses Verhältnisses.“ Blick wird demnach als eine Atmosphäre erfahren, die einen stellt, an die Stelle bindet, an der man ist, die einen ergreift und, wie Böhme sagt, zum Objekt werden lässt.
Friedrich Schelling war der Überzeugung, dass alles Wissen immer mit Objekt und Subjekt zu tun hat. Man dürfe sich weder nur auf die eine, noch nur auf die andere Seite schlagen, sondern müsse sehen, wie das Objektive zum Subjektiven und das Subjektive zum Objektiven führe.. „In allem Werden, es sei übrigens von welcher Art es wolle, sind Subjektives und Objektives, Ideales und Reales immer beisammen, nur in verschiedenen Graden“.
In seinem Aufsatz „Kunst und Wissenschaft 1800 und 2000“ (Glaux Verlag, Jena, 2001) sagt Olaf Breidbach Neurologe, Naturwissenschaftler und Philosoph: „Der Positivismus der Naturwissenschaften erweist sich in dem Bereich der Humanities letztlich als obsolet: Natur ist dieser Wissenschaft nur das in ihr Darstellbare. Die somit gewonnene „neue Natürlichkeit“ gewinnt sich als Scheinwelt. Diese designte Wirklichkeit des Naturalen, die die Wissenschaft in sich zu sichern sucht, ist dem gegenüber schon immer bei sich. Sie normiert und argumentiert, in dieser Normierung die Wahrheit des Objektiven zu finden. Die Kunst, die gegen dieses Objektive das Subjekt setzt, schafft gegenüber solch einer verengenden Interpretation der Kommunikation, der Erfahrung und der Bewertung die Unruhe, die eine Natur ins Leben zu setzen vermag. Das in Blick genommene Ganze ist lebendig“. In den Wissenschaften ging es allerdings ursprünglich um ein Ganzes, aus dem heraus dann erst die methodischen Spezifizierungen der Fachwissenschaften erwuchsen. Schelling reklamierte um 1800 seine Vorstellung einer reinen Naturwissenschaft: Natur ist das Ganze, auf das man sich beziehen muss. Dieses Ganze umfasst den Menschen mit seinen Äußerungen. Er ist in seinem Tun, auch in seiner Ästhetik natürlich, andererseits ist die Natur als Ganzes nur in einer Perspektive zu erfassen, die auch um ihre Ästhetik weiß und diese nicht etwa auf das reduziert, was einer Chemie, einer Physik oder Mathematik gefällig ist. Nach Ansicht Olaf Breidbachs gilt es nun, das Subjekt wieder zu erfassen, um aus dem „Natürlichen“ der heutigen Naturwissenschaften in die Natur zurückzufinden. (In Anbetracht der Umweltverschmutzung und der bevorstehenden, nicht weniger von Menschen verursachten Klimaveränderung, sollte uns dies ein wichtiges Anliegen sein.)
Das ästhetische Konzept der Romantik zielt außerdem zu jeder Zeit, jeder „Epoche im Umbruch“ auf ein neues Denken und Empfinden, auf Aktivierung der Phantasie, auf Freiheit. Die romantische „Denkungsart“ gab es schon immer, auch in der antiken Welt. Es soll also deutlich sein, dass hier keineswegs von einem „roll-back“, einer Art Neo-Romantik oder Wiederholung historisch-künstlerischen Schaffens des
19. Jahrhunderts die Rede sein kann. Eher handelt es sich um immer gültige Begriffe und Werte, die wir in unserem euphorischen Fortschrittslauf und oberflächlich dualistischem Denken aus den Augen verloren haben. „Romantik ist kein Ordnungsbegriff, mit dem sich Daten, Fakten und Personenkreise klassifizieren, sortieren und etikettieren lassen.“ (G. Schulz) Romantik ist einfach eine „Denkungsart“. In dem Buch „Romantik – Geschichte und Begriff“ (Verlag C.H. Beck, 2002) von Gerhard Schulz heißt es: „Die Stärke der Romantik erweist sich nicht in der Fähigkeit, gewisse Sachverhalte – etwa eines bestimmten und genau bestimmbaren Stils – zu benennen, sondern darin, dass sie als Messinstrument zur Erkenntnis ebensolcher Kombinationen und Zusammenhänge zwischen Kunst, Geschichte, Naturverständnis und Mentalität in einem gewissen historischen Augenblick dienen kann. Aus diesem Grund spricht man immer wieder von der „Aktualität“ oder „Modernität“ der Romantik.“
Die Verflechtung von „Geist und Liebe“ und „Natur und Sexualität“, von Glauben und Zweifel, gesellschaftlicher Bindung und der ewigen Sehnsucht nach Freiheit ist unserer Gegenwart nicht fremd. Widersprüche und Gegensätze gehören auch dazu. “Im Kontraste“ ist ein Begriff der Romantik. „Intellektualität und Irrationalität, Wissen und Glauben, Nüchternheit und Schwärmerei, Kosmopolitismus und Nationalismus, Ironie und Utopie, Nihilismus und Religiosität – sie alle haben Platz darin.“
(G. Schulz)
Die Hegelsche Erfassung der Wirklichkeit (Dialektik der Idee) ist sich entfaltendes und wieder in sich zurückführendes Leben. So gesehen gibt es kein Ende, nur neue Anfänge bei der Rückkehr in sich. Wenn Hegel in seiner Ästhetik von dem Vergangenheitscharakter der Kunst spricht, ist nicht gemeint, dass die Kunst keine Zukunft mehr habe, sondern dass sie in ihrem Wesen immer schon vergangen ist. Die These baut auf dieser Tatsache, dass sich in der klassischen Epoche der griechischen Skulptur das Göttliche in der Erscheinung der Kunst unmittelbar als die Wahrheit selbst dargestellt habe. „In Wahrheit geht es Hegel bei der Rede von dem Vergangenheitscharakter der Kunst nicht um die Endstufe der romantischen Kunst, und deshalb ist es verkehrt den Sinn dieser Rede in die Richtung auf ein Ende der Kunst überhaupt zu verschließen. Vielmehr ist es für Hegel kein Zweifel, dass die Kunst ‚vergangen’ ist und doch zu hoffen ist, dass sie in ihrer ganzen universalen Wirklichkeit immer wieder neues Schaffen wird.“ (H.G. Gadamer) In diesem Sinne kann deshalb keine Rede vom „Ende der Kunst“ sein in der Moderne, sondern es handelt sich vielmehr um ein „Herausgehen, Sichauseinanderlegen und wieder Zusichkommen“.
Die Banalität wird heute als kreativer Akt erlebt, der einen Wunsch nach Änderungen und einer neuer „Denkungsart“ in sich birgt. Daraus wäre zu schließen, dass die allgegenwärtige Erscheinung dieses Phänomens in der Postmodernen Kunst, gleichermaßen das Ende und den Anfang einer Epoche bedeuten könnte. Wenn es so ist, liegt es nahe zu vermuten, dass der Stillstand, den wir heute in der Gegenwartskunst erleben, das Ende eines Zeitalters des Experiments signalisiert, einer langen Herausforderung, die alle Grenzen gesprengt hat. Demzufolge würde unvermeidbar der traditionelle Kunstbegriff wieder zum Vorschein und zur Geltung kommen. Als Ergebnis seines „Herausgehens“ und Sichauseinanderlegens“ erleben wir erwartungsgemäß, einen weiterentwickelten Kunstbegriff, der, obwohl der gleiche, ein „anderer“ geworden ist.
Was bleibt ist „Im Werden“.
Ein endloser Weg mit immer neuen Auseinandersetzungen.
Quellen:
Das Altern der Moderne, Peter Bürger, suhrkamp wissenschaft 1548, 2001
Für eine ökologische Naturästhetik, Gernot Böhme, edition Suhrkamp 1556, 1989
Atmosphäre, Gernot Böhme, edition suhrkamp 1927, 1995
Philosophieren mit Kant, Gernot Böhme, suhrkamp wissenschaft 642, 1986
Das Gehirn und seine Wirklichkeit, Gerhard Roth, suhrkamp wissenschaft 1275, 1997
Deutungen – zur philosophischen Dimension der internen Repräsentation, Olaf Breidbach,
Velbrück Wissenschaft Weilerswist, 2001
Die Materialisierung des Ichs – zur Geschichte der Hirnforschung im 19. und 20. Jahrhundert,
Olaf Breidbach, suhrkamp wissenschaft 1276, 1997
Imagination – Romantik, Kunst und Wissenschaft 1800-2000, Essay, Olaf Breidbach, Glaux Verlag Jena, 2001
Gestaltung macht Sinn: Macht Gestaltung Sinn? Gestalt-bilden und ab-bilden, Essay, Olaf Breidbach, IFG Internationales Forum für Gestaltung Ulm, 2001
Von Freiheit und Verantwortung in der Forschung. Genese der Moral aus biologischer Sicht, Essay, Olaf Breidbach, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2002
Joseph Beuys, Die Kunst auf dem Weg zum Leben, Hiltrud Oman, Wilhelm Heyne Verlag München, 1998
Romantik – Geschichte und Begriff, Gerhard Schulz, Verlag C.H. Beck München, 1996
Geschichte der Philosophie, Johannes Hirschberger, Verlag Herder Freiburg i.Br.
Sartre – der Philosoph des 20. Jahrhunderts, Bernhard-Henri Lévy, Carl Hanser Verlag München-Wien, 2002
Die Atemlosigkeit der Moderne, Interview mit Peter Sloterdijk, Cicero – Magazin für politische Kultur, Literarischer Salon Oktober 2005-11-22
Logik entsteht nicht im Hirn, Interview mit Olaf Breidbach, Hat der Mensch einen freien Willen?, GEO, Januar 2003
Der Fremde, Peter Bürger, Die Zeit, Feuilleton, Ausg. 25/2005
Anschauung und Anschaulichkeit, Hans Georg Gadamer, Neue Hefte für Philosophie 18/19, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen, 1980
Ende der Kunst? – Von Hegels Lehre von Vergangenheitscharakter der Kunst bis zur Anti-Kunst von heute, Hans Georg Gadamer, Vortrag, gehalten in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste im Mai 1984
Die Stellung der Poesie im System der Hegelschen Ästhetik und die Frage des Vergangenheitscharakters der Kunst, Hans Georg Gadamer, Bouvier Verlag Herbert Grundmann Bonn, 1986
Bilder des Wissens – zur Kunstgeschichte der wissenschaftlichen Wahrnehmung, Olaf Breidbach, Wilhelm Fink Verlag München, 2005
© Jon Thor Gíslason